Die Psychologie von Wollen und Müssen: Wie sie unsere Leistung beeinflussen

Peter zählte in seinem Beruf zu den Besten, entsprechend viel hatte er zu tun. Die Tage als Berater für einen großen Konzern waren sehr lange und bis zum Rand ausgefüllt. Wenn er spätabends heimkam, war er meistens vollständig ausgelaugt – und der Tag war selten schon zu Ende. Er vermisste die gemeinsame Zeit mit seiner Frau, die Spaziergänge und die Theaterbesuche, die er aufgrund der fehlenden Zeit einfach nicht mehr machen konnte. Er hatte ständig ein schlechtes Gewissen deswegen und so kam es immer öfters zum Streit. Aber auch seine Arbeit litt unter der fehlenden Motivation. Er wusste, dass er etwas ändern muss. Aber irgendwie hat ihn das Wissen, was er tun muss, nicht dazu gebracht, es zu tun.

Die Zeit verging und das Schicksal führte dazu, dass eines Tages seine Frau notoperiert werden musste. Als Peter erkannte, dass unsere Zeit hier auf Erden nur geliehen und von kurzer Dauer ist, wechselte das Gefühl, seine Arbeitsgewohnheiten ändern zu müssen, zu dem Gefühl, dass er es wollte. Die Liebe zu seiner Frau und der Wunsch, gemeinsam das Leben aktiv zu gestalten und zu genießen, motivierten ihn, seine Arbeit neu zu bewerten. Zunächst machte Peter kleine Änderungen – er sagte Meetings, die nicht wichtig waren, ab, er drehte sein Handy außerhalb der Arbeitszeit ab und er trug sich gemeinsame Zeit mit seiner Frau in den Kalender. All diese Änderungen summierten sich. Irgendwann kündigte er seinen Job und tat das, was er eigentlich immer schon tun wollte. Er gründete gemeinsam mit seiner Frau ein Unternehmen. Seitdem bestimmt er seine Arbeitsvolumen selber und er achtet bewusst auf seine mentale und physische Gesundheit - er macht das alles, weil er es tun will. Ich weiß das alles so genau, weil Peter mein Ehemann ist.

Wenn wir die Anstrengung von Disziplin und Ehrgeiz verdoppeln, ist das Ergebnis selten wirklich gut. Sie können das eine Meeting absagen, aber wie soll die Information dann transportiert werden? Sie können sich im Fitnessstudio eintragen, aber wie lange werden Sie an einer Trainingsroutine festhalten? Sie können Ihre Tante aus Pflichtgefühl anrufen, aber wie oft führen Sie ein sinnvolles Gespräch? Wenn wir von einem mahnenden Zeigefinger zu Dingen gezwungen werden, die nicht aus unserem Herzen kommen, geraten wir in ein inneres Tauziehen zwischen gut und gutgemeint.

Bereits vor mehr als 2000 Jahren hat sich Platon mit diesem inneren Konflikten beschäftigt. Er benutzte dafür die Metapher eines Streitwagens, der von zwei Pferden gezogen wird. Das eine Pferd steht für die Leidenschaft, den inneren Drang, während das andere Pferd den rationalen, moralischen Verstand repräsentiert. Platon erkannte, dass wir oft von dem, was wir tun wollen (dem leidenschaftlichen Pferd) und von dem, von dem wir wissen, dass wir es tun sollten (dem rationalen Pferd), in entgegengesetzte Richtungen gezogen werden. Als Wagenlenker besteht unsere Aufgabe aber darin, beide Pferde zu zähmen und sie gemeinsam dorthin zu lenken, wohin wir sie wollen.

Wenn das impulsive, belohnungssuchende System in unserem Gehirn (Leidenschaft) mit unseren rationalen Zielen (Intellekt) in Konflikt gerät, versucht das Gehirn das Problem zu lösen, indem es einen Ausgleich sucht. Wenn Sie zum Beispiel in einem Meeting festsitzen, aber eigentlich ein Treffen mit einem Freund geplant haben, löst dieser Konflikt eine Aktivität in Ihrem Nucleus Accumbens aus – dem Bereich des Gehirns, der mit Vergnügen verbunden ist. Wenn Sie das Treffen absagen, springt Ihr unterer Frontalgyrus an – das ist jener ein Teil des Gehirns, der mit der Selbstkontrolle verbunden ist. Sind beide Bereiche zeitgleich aktiviert, kämpft Ihr Gehirn quasi mit sich selbst, während Sie versuchen eine Entscheidung zu treffen, ob Sie zu dem Treffen gehen oder nicht.

Um diesen Wettbewerb zwischen den beiden Teilen zu umgehen, können Sie einen Trick nutzen. Sie können wie Peter Ihre Ziele neu positionieren und sie auf das ausrichten, was Sie tun wollen, im Gegensatz zu dem, was Sie tun müssen. Wenn Sie Ihre Motivation auf diese Weise ändern, brauchen Sie sich auch keine Sorgen mehr darüber machen, ob die Leidenschaft oder der Intellekt gewinnt, denn Ihr ganzes Selbst kommt so in Balance.

Ziele, die mit einem Wollen verknüpft sind, spiegeln die echten Interessen und Werte einer Person wider (ihr „Warum“). Diese Ziele verfolgen wir aus persönlichem Interesse, wegen der inhärenten Wichtigkeit des Ziels oder weil das Ziel in unsere Kernidentität steckt. Das Wichtigste aber ist, dass diese Ziele von uns selbst gewählt werden.

Muss-Ziele hingegen werden uns oft aufgezwungen, meistens von Menschen, die wir lieben oder von dem wir geliebt werden wollen („Du musst diese Chance einfach ergreifen! Dann geht es uns finanziell besser!“).

Sie können sich aus Angst oder Scham für eine gesündere Lebensweise entscheiden. Oder Sie können sich dafür entscheiden, so zu leben, wie Sie es wollen, weil Sie sich dann gut fühlen und Ihr Leben genießen. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Arten der Motivation besteht darin, dass Sie mit Müssen-Motivationen vielleicht eine Zeit lang positive Veränderungen vornehmen können, aber Ihre Entschlossenheit wird unweigerlich nach einiger Zeit zusammenbrechen.

Für eine Studie wurden Probanden gebeten, eine Reihe von Aufgaben zu lösen, die sie entweder als „Wollen“ oder „Müssen“ betrachteten. Die Forscher fanden heraus, dass die Teilnehmenden tendenziell eine höhere Motivation und bessere Leistung bei Aufgaben zeigten, die sie als „Wollen“ betrachteten, im Vergleich zu Aufgaben, die sie für sich als „Müssen“ einordneten.

Die Forscher argumentierten, dass diese Unterschiede in der Motivation und Leistung aufgrund der psychologischen Wahrnehmung entstehen. Anders gesagt: „Müssen“ wird als eine Verpflichtung und „Wollen“ als eine persönliche Präferenz wahrgenommen. Die Teilnehmer:innen waren daher eher bereit, Anstrengungen zu unternehmen und sich stärker auf Aufgaben zu konzentrieren, die ihren persönlichen Interessen entsprachen, als Aufgaben zu verfolgen, die ihnen als Pflicht auferlegt wurden.

Wollen-Motivation ist mit einer geringeren automatischen Anziehungskraft auf die Stimuli verbunden, die Sie zum Stolpern bringen können. Diese Motivation zieht Sie zu Verhaltensweisen hin, die Ihnen helfen, Ihre Ziele zu erreichen. Müssen-Motivation hingegen verstärkt die Versuchung aufzugeben, weil Sie sich dadurch eingeengt oder benachteiligt fühlen. Auf diese Weise kann das Verfolgen eines Ziels aus zwingenden Gründen Ihre Selbstbeherrschung untergraben und Sie anfälliger dafür machen, letztlich doch das zu tun, was Sie eigentlich nicht tun möchten.

Stellen Sie sich vor, wie viel Macht Sie über Ihr Leben zurückerobern, wenn Sie das Leben als eine Reihe von kleinen Momenten sehen, von denen jeder ganz leicht angepasst werden kann und die alle zusammen zu erheblichen Veränderungen führen. Das ist gar nicht so schwierig. Im Grunde reicht es, wenn Sie einfache Optimierungen anwenden und die Notwendigkeit erkennen, welches Bedürfnis sich hinter Ihrem „Müssen“ versteckt.

Wir alle tappen in diese subtilen Sprachfallen und denken „Ich muss heute dieses oder jenes tun“. Wenn wir das tun, vergessen wir, dass unsere gegenwärtigen Umstände in Wahrheit das Ergebnis früherer Entscheidungen sind, die wir im Dienste unserer Werte getroffen haben „Ich liebe meine Arbeit und möchte zeigen, was ich kann“.

Bitte missverstehen Sie mich nicht: Ich schlage Ihnen nicht vor, einfach positiv zu denken und echte zugrunde liegende Bedenken zu ignorieren. Aber wenn Sie in einem bestimmten Bereich Ihres Lebens keine positive Empfindung mehr spüren, kann dies ein Zeichen dafür sein, dass eine Veränderung angebracht ist. Wenn Sie Ihren beruflichen Bereich deswegen ausgesucht haben, weil Sie etwas in der Welt bewegen wollen, Ihr Unternehmen sich aber mehr auf das Endergebnis konzentriert, ist es möglicherweise an der Zeit, den Job zu wechseln. Bei der Suche nach einem Wunsch geht es nicht darum, eine bestimmte Wahl zu erzwingen – es geht vielmehr darum, Dinge bewusst zu wählen, die zu dem Leben führen, das Sie wirklich wollen.